Clipping oder Coiling?
Intrakranielle Aneurysmen
Es gibt verschiedene Methoden, um Aussackungen der Blutgefäße im Bereich des Kopfes zu verschließen. Wichtig sind eine präzise Diagnostik, eine individuelle Therapie-Planung sowie eine ausgefeilte Operationstechnik.
Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Aussackungen der Blutgefäße, sogenannte „Aneurysmen“, können jeden betreffen. Fachmediziner gehen davon aus, dass sie aufgrund einer angeborenen Schwäche der Gefäßwände entstehen – bei dem einen früher, bei dem anderen später. Als sicher gilt ebenfalls eine familiäre Belastung, d.h. wenn beim Vater oder der Mutter ein Aneurysma festgestellt wurde. Insgesamt tragen 3 - 4 Prozent aller Menschen im mittleren Erwachsenenalter ein intrakranielles Aneurysma, also ein Aneurysma innerhalb des Schädels. Nur wenige dieser Aneurysmen verursachen spürbare Symptome, erklärt Prof. Dr. med. Ralf A. Kockro, Spezialist für Neurochirurgie der Klinik Hirslanden in Zürich: „Viele Aneurysmen fallen erst auf, wenn sie platzen. Oder man entdeckt sie durch Zufall, z.B. im Rahmen einer Kopfschmerz-Diagnostik oder als Nebenbefund einer anderen Untersuchung, z.B. nach einem Unfall. Symptome verursachen nicht geplatzte intrakranielle Aneurysmen nur, wenn sie sich ausdehnen und durch ihre Raumforderung andere Strukturen belasten. Das kann sich z.B. in Sehstörungen oder epileptischen Anfällen äußern.“
Wie werden Aneurysmen diagnostiziert?
Bei Verdacht auf ein Hirnaneurysma wird häufig eine Magnetresonanzangiografie (MRA) vorgenommen, so Prof. Kockro. „Durch diese Methode bekommen wir hochauflösende Darstellungen der Blutgefäße und die Patienten sind keiner Strahlenbelastung ausgesetzt. Je nach Ausgangslage kommen aber auch eine Computertomografie, oder eine röntgengestützte Kontrastmittelangiographie in Frage.“ Anschließend erfolgt eine Beurteilung hinsichtlich Lage und Architektur des Aneurysmas, sowie der Gesamtsituation des Patienten in Bezug auf Vorerkrankungen. Prof. Kockro hat für die Risikobeurteilung einen eigenen online Aneurysma-Rechner entwickelt (https://www.kockro.com/de/kalkulatoren/). „Aktuell basieren die Ergebnisse auf den Daten von mehr als 8.000 Patienten mit mehr als 10.000 Aneurysmen. Ziel ist es, die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, mit der ein Aneurysma ruptiert, also reißt.“ Das Ergebnis kann ein guter Richtwert sein, um zu entscheiden, ob und wie das Aneurysma behandelt wird, so Prof. Kockro. „Es müssen bei weitem nicht alle Aneurysmen verschlossen werden. Wenn langfristig die Rupturgefahr als sehr klein bewertet wird und das Aneurysma keine störenden Symptome auslöst, reicht es in vielen Fällen aus, dieses jährlich mit einer MRA zu kontrollieren. Sobald wir bei diesen Untersuchungen feststellen, dass es sich in Form oder Größe verändert, verschließen wir es.“
Clipping oder Coiling bei Hirnaneurysmen?
Wenn ein Aneurysma platzt, entsteht eine lebensbedrohliche Situation, betont Prof. Kockro. Circa 40 Prozent aller Betroffenen sterben und bei einem Großteil der Überlebenden bleiben schwerwiegende Folgeschäden. Ob ein Aneurysma als behandlungsbedürftig eingestuft wird, und wie eine Behandlung aussieht, entscheiden in der Klinik Hirslanden die Ärzte verschiedener Fachbereiche in einem gemeinsamen neurovaskulären Board. Im Vordergrund steht immer die bestmögliche und risikoärmste Therapie – unter Berücksichtigung von medizinischen Begleitfaktoren und unter Einbeziehung des Patientenwunsches.
Beim sogenannten „Coiling“ wird per Katheter über eine Leistenarterie eine Platinspirale in das betroffene Aneurysma eingebracht, die es somit ausfüllt und verschließt, oder es werden sogenannte Stents oder Flow-Diverter implantiert, um den Blutfluss an der Aussackung vorbei zu führen. Beim „Clipping“ wird das Aneurysma im Rahmen eines minimalinvasiven Eingriffs durch einen oder mehrere Clips an der Aneurysmabasis vom Blutfluss abgeklemmt. „Welche Methode wir wählen, entscheiden wir individuell für jeden Patienten neu“, erklärt Prof. Kockro. „Das Clipping ermöglicht einen dauerhaften Komplettverschluss. Das Coiling ist dagegen in manchen Fällen eher ein Verschluss auf Zeit, da durch eine Kompaktierung der Coils eine neue Aussackung entstehen kann. Langfristige, regelmäßige Kontrollen sind hier unerlässlich.“ Schwierig wird es außerdem, wenn sich die Aussackung an einer Verzweigung der Blutgefäße gebildet hat, so dass mehrere Seitenarme vom Aneurysma ausgehen. „In diesen Fällen ist Coiling oder Stenting oft nicht machbar und daher wird das Aneurysma mit Clips von außen verschlossen und die Blutbahnen der tragenden Gefäße werden rekonstruiert“.
OP-Risiko bei intrakraniellen Aneurysmen
Coiling gilt als schonende Methode, weil die Behandlung eines Aneurysmas von innen erfolgt und durch die Angiographie dieser Vorgang kontrolliert wird. „Allerdings wählen wir auch beim Clipping immer den minimalinvasiven Weg“ so Prof. Kockro. Seit fünfzehn Jahren entwickelt er eine 3D Virtual Reality-Planung, um jeweils den bestmöglichen Zugang zum Aneurysma sowie die Clip-Platzierung bereits vor der Operation exakt zu simulieren und festzulegen. „Dieser neurochirurgische ‚Flugsimulator’ ist in unserem Zentrum einzigartig in Europa im Einsatz und alle vaskulären Operationen werden an ihm präoperativ simuliert“. Während der Operation werden die Aneurysmen dann mikroskopisch und auch endoskopisch freigelegt und - wie beim Coiling – werden durch die intraoperative Angiografie die Lage der Clips und die Strömungsverhältnisse am ausgeschalteten Aneurysma direkt und in Echtzeit dargestellt und analysiert. „Wir haben somit eine unmittelbare Erfolgskontrolle auf dem Operationstisch und können, falls notwendig, sofort korrigieren.“
Von den Patienten, die Prof. Kockro über die letzten 15 Jahre mit dieser Technologie operiert hat, hat er keinen einzigen verloren. „In meiner persönlichen Serie von operierten Aneurysmen habe ich bislang eine Vollverschlussrate von mehr als 99 Prozent und das Risiko einer Komplikation mit neurologischen Auswirkungen liegt bei unter einem Prozent.“ Diese Erfolge sind vor allem auf die präzise Planung und die verfeinerten mikrochirurgischen Operationstechniken zurückzuführen. Fünf bis sechs Tage nach dem Eingriff können die Patienten die Klinik bereits verlassen und bei einem normalen Verlauf ist kein Reha-Aufenthalt erforderlich. Ist das Aneurysma durch einen Clip komplett verschlossen, ist das Problem in der Regel beseitigt. Das Risiko, dass es an dieser Stelle erneut auftritt, geht laut Prof. Kockro gegen Null.
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