Routine allein genügt nicht
Hüftgelenksprothesen
Das Einsetzen eines künstlichen Hüftgelenks zählt heutzutage zu den Standardeingriffen im Klinikalltag. Warum es dennoch sinnvoll ist, ein zertifiziertes Zentrum aufzusuchen, erklärt Dr. med. Thomas-Peter Ranke, Spezialist für Orthopädie sowie Ärztlicher Direktor, Chefarzt Orthopädie und Leiter des Endoprothesenzentrums der Asklepios Orthopädische Klinik Hohwald in Neustadt in Sachsen.
Interview: Susanne Amrhein, Primo Medico
In welchen Fällen ist es ratsam, ein künstliches Hüftgelenk einzusetzen?
Dr. Ranke: „Die Leitlinien zur Arthrosebehandlung der Hüfte sehen eine Hüftgelenksendoprothese vor, wenn röntgendiagnostisch eine Verschleißerkrankung nachgewiesen ist und die Patienten einen hohen Leidensdruck empfinden. Das ist z.B. dann der Fall, wenn die Hüftschmerzen zunehmen, regelmäßig Schmerzmittel eingenommen werden müssen oder auch die möglichen Gehstrecken immer kürzer werden, bzw. Gehhilfen, wie z.B. ein Stock, benötigt werden. Man sollte eine Hüftgelenksprothese aber in Absprache mit den Patienten immer sehr genau abwägen, denn es handelt sich um eine große Operation. Andererseits sollte man auch nicht zu lange warten, da ansonsten ein Abbau der stützenden Muskulatur erfolgen könnte. Und ein Muskelaufbau erfordert doch einige Anstrengung.“
Das Implantieren von Hüftgelenksprothesen gehört zu den Standardeingriffen. Warum solle man dennoch ein Endoprothesenzentrum wählen?
Dr. Ranke: „Wer zu seinem lokalen Krankenhaus in der Nähe tendiert, wird in den meisten Fällen keine Nachteile haben, wenn es sich um einen Standardeingriff ohne Komplikationen handelt. Allerdings gibt es gerade im Bereich des Hüftgelenks angeborene oder erworbene Veränderungen, die ein individuelles Vorgehen und ein hohes Maß an technischem Know-How erfordern, z.B. bei einer Dysplasie (Fehlstellung), einer besonderen Knochenform oder auch bei einer posttraumatischen Situation nach einem Unfall. In einem zertifizierten Endoprothesenzentrum (EPZ) wird unter anderem das Komplikationsmanagement bewertet, das in solchen Fällen zum Tragen kommt. Und grundsätzlich gilt auch bei Hüftgelenksprothesen: Bei Operationen, die häufig ausgeführt werden, sinkt die Fehlerquote. Ich rate jedem Patienten, sich bei den Kliniken genau darüber zu informieren, wie viele solcher Operationen sie pro Jahr durchführen, wie hoch die Infektionsrate ist und sich die Bewertungen anzusehen. Zum Vergleich: Wir setzen jedes Jahr etwa 850 Hüftprothesen ein und verfügen zudem über eine große Auswahl verschiedener Implantate, die wir in hohen Stückzahlen jederzeit vorrätig haben.“
Wo liegen die Vor- und Nachteile von einwachsenden, bzw. zementierten Hüftprothesen?
Dr. Ranke: „Vor 30 oder 40 Jahren wurden alle Hüftprothesen mit Zement im Knochen befestigt. Zement ermöglicht eine gute Krafteinleitung in den stützenden Knochen und kann sofort belastet werden. Bei älteren Patienten, z.B. ab 80 Jahren, die vielleicht noch an Osteoporose (Knochenschwund) leiden, ist dieses Verfahren nach wie vor sinnvoll. Bei Patienten in jüngerem oder mittlerem Alter ist man dazu übergegangen, die Prothesen zementfrei im Knochen zu verankern und auf das natürliche, allmähliche Einwachsen in den Knochen zu setzen. Dies erfordert zwar einen Zeitraum von etwa 6 Wochen, in der das künstliche Hüftgelenk nur teilbelastet werden darf und unbedingt vor ruckartigen Bewegungen geschützt werden sollte. Langfristig sind aber die Biomechanik und auch die Alltagstauglichkeit deutlich besser. Auch beim Sport gibt es nur wenige Einschränkungen.
Wie häufig treten Unverträglichkeitsreaktionen nach dem Einsatz von Hüftgelenksprothesen auf?
Dr. Ranke: „Bei einer Allergieneigung wird selbstverständlich vor der Operation getestet, ob die in der Prothese verarbeiteten Materialien verträglich sind. Häufig wird Titan verwendet, ein hochbelastbarer Hüftkopf aus Keramik und vernetztes Polyethylen als Gleitpartner in der Hüftgelenkspfanne. Bei speziellen Unverträglichkeiten sind für jede Komponente Alternativen möglich.“
Wie aufwändig ist das Einsetzen einer Hüftgelenksprothese?
Dr. Ranke: „Wie bereits angesprochen, ist der Eingriff selbst Routine, sollte aber immer individuell an die Bedürfnisse der jeweiligen Patienten angepasst sein. Die Operationsdauer beträgt etwa eine Stunde. Wir operieren immer offen und in Rückenlage, vor allem aber gewebeschonend und so wenig invasiv wie möglich. Dies bedeutet z.B., dass wir die Muskulatur möglichst nicht verletzen, sondern lediglich verdrängen. Um den korrekten Sitz der Prothese zu überprüfen, führen wir eine intraoperative Röntgenkontrolle durch.“
Wie belastend ist eine Hüftoperation für den Patienten?
Dr. Ranke: „In den meisten Fällen leiden Patienten nach der Operation lediglich an Wundschmerz, der durch intravenöse Schmerzmittel, Tabletten oder Tropfen gut kontrolliert werden kann. Der Krankenhausaufenthalt dauert ca. 1 Woche, die anschließende Reha 3 Wochen und nach insgesamt 8 bis 12 Wochen kann die Arbeitsfähigkeit wieder erreicht werden. In den ersten sechs Wochen nach dem Einsetzen einer Hüftendoprothese sollten Patienten nicht selbst Auto fahren und möglichst Unterarmstützen verwenden. Um die stützende Muskulatur wieder aufzubauen und ein gutes Gangbild zu erreichen, ist eine hohe Eigenbeteiligung der Patienten erforderlich.
Wie alltags- und sporttauglich sind künstliche Hüftgelenke?
Dr. Ranke: „Nach einem Vierteljahr sollten normale Alltagsbewegungen und –verrichtungen problemlos möglich sein. Für eine optimale Leistungsfähigkeit ist dann allerdings ein weiterer Aufbau notwendig. Sport ist nach dem Ampelprinzip ebenfalls möglich: Grünes Licht gilt für gleitende Sportarten wie Walking, Radfahren, Wandern und Schwimmen. Gelbes Licht, also Vorsicht, heißt es bei Sportarten wie Skilaufen und Tennis. Und auf rot steht die Ampel ganz klar beim Wunsch nach Sportarten mit stauchenden Belastungen oder z.B. Kampfsport.“
Welche Risiken und mögliche Komplikationen gibt es beim Einsetzen einer künstlichen Hüfte?
Dr. Ranke: „Bei jedem chirurgischen Eingriff kann im Nachhinein eine Infektion auftreten. Das Risiko sinkt in einem Endoprothesenzentrum, weil im Gegensatz zu Allgemeinkliniken mit äußerst unterschiedlichen Krankheitsbildern in unseren Operationssälen nur Gelenke operiert werden und daher sehr wenige Keime auftreten. Falls es während der Operation zu einer Fraktur oder einer direkten Lockerung kommt, muss natürlich erneut operiert werden. Das Risiko einer Thrombose, einer Embolie oder auch einer Gefäß- oder Nervenschädigung liegt in einem sehr niedrigen Prozentbereich. Um Luxationen (Ausrenkungen) zu vermeiden, müssen wir bei unseren frischoperierten Patienten darauf achten, dass sie keine ruckartigen oder spreizenden Bewegungen machen. Auch eine tiefe Hocke wäre gefährlich, da die Gelenkkapsel eingeschnitten wurde und erst ausheilen muss.“
Unsere Gesellschaft wird immer älter: Wie lange halten künstliche Hüftgelenke?
Dr. Ranke: „ Wir haben hervorragende Langzeitergebnisse: Nach 15 Jahren sind 90 Prozent der Hüftendoprothesen noch voll funktionsfähig, nach 20 Jahren auch immerhin noch 80 Prozent. Wer natürlich mit 50 Jahren ein künstliches Hüftgelenk erhält, muss damit rechnen, dass im Alter von 70 oder 75 Jahren eine Wechsel-OP anstehen könnte. Aufgrund bereits erfolgter Vernarbungen und möglichem Knochenschwund ist bei Revisionseingriffen besondere Achtsamkeit gefordert. Die gute Nachricht ist aber auch, dass grundsätzlich jederzeit Reparaturen auch einzelner Komponenten möglich sind. Und selbst im höheren Alter, bei Patienten von 85 oder auch 90 Jahren, sind diese Operationen noch möglich, wenn die biologischen Voraussetzungen für eine Hüftendoprothese erfüllt sind. In Deutschland übernehmen die Krankenkassen derartige Operationen glücklicherweise vollständig ohne jegliche Alterslimitierung.“
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