Operationen möglichst vermeiden
Kiefergelenkschmerzen
Anhaltende Ohren-, Kopf-, Nacken- oder Gesichtsschmerzen können ihre Ursache auch im Bereich der Zähne und des Kiefergelenks haben. Verschiedene Therapieansätze ermöglichen jedoch gute Heilungschancen, sagt Univ.-Prof. Dr. Dr. Rolf Ewers, Spezialist für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde in Wien/Österreich.
Interview: Susanne Amrhein, Primo Medico
Kiefer- und Gesichtsschmerzen sind ein weites Feld: Mit welchen Beschwerden kommen die meisten Patienten zu Ihnen?
Prof. Ewers: „Es gibt einige sehr konkrete Beschwerden, die darauf hinweisen, dass das Kiefergelenk die Ursache sein könnte. Zum Beispiel dann, wenn der Patient den Mund plötzlich nicht mehr schließen kann. So eine ‚kondyläre Luxation’ entsteht häufig beim Gähnen. In diesem Fall muss das ausgerenkte Kiefergelenk wieder an die richtige Position geschoben werden. Ein weiterer, recht deutlicher Hinweis auf Probleme des Kiefergelenks, ist ein regelmäßiges Knacken beim Öffnen oder Bewegen des Mundes. Es gibt aber auch eine Reihe von unspezifischen Beschwerden, die auf Probleme des Kiefergelenks bzw. der Zähne zurückzuführen sind. Dazu gehören Ohrenschmerzen, Kopfschmerzen, Gesichts- und Muskelschmerzen und auch Nackenverspannungen.“
Welche Diagnoseschritte sind notwendig, um der Ursache von Kiefergelenks- bzw. Gesichtsschmerzen auf die Spur zu kommen?
Prof. Ewers: „Wenn keine akuten Probleme wie Entzündungen oder Frakturen vorliegen, sollte zunächst überprüft werden, ob ungünstige Zahnstellungen eine Fehlbelastung des Kiefergelenks auslösen und damit die Schmerzen verursachen. Oder ob stressbedingte Muskelverspannungen als Ursache in Frage kommen. Neben dem Gespräch mit den Patienten führe ich eine Funktionsanalyse der Kiefergelenke durch, um zu klären, ob Fehler im Bewegungsablauf (CMD – Craniomandibuläre Dysfunktion) vorliegen. Eine Magnetresonanztomografie (MRT) zeigt, ob im Bereich des Kiefers Ergüsse oder Entzündungen vorliegen. Gleichzeitig lässt sich durch die Bildgebung die Lage des Discus erkennen. Wenn diese Knorpelscheibe zwischen Schädelbasis und dem Kieferköpfchen verschoben ist, beeinträchtigt dies die Bewegungsfähigkeit und kann heftige Schmerzen auslösen, die bis in die Ohren, in den Nacken und sogar die untere Wirbelsäule ausstrahlen.“
Welche Therapie hilft bei Kiefergelenksbeschwerden?
Prof. Ewers: „Bei der bereits erwähnten Luxation des Kiefergelenks muss ich den ausgerenkten Unterkiefer wieder in die Gelenkpfannen der Kiefergelenke zurückführen. Bei einer Discus-Verlagerung hilft eine Aufbeißschiene, die den Discus langsam wieder in die richtige Position zurückführt. Diese Methode ist etwas langwierig, aber erfolgversprechend. Bei einem akuten Discus-Vorfall ist es zunächst wichtig, das schmerzende Gelenk wieder zu beruhigen. Patienten sollten in diesem Fall auf harte Speisen, wie z.B. Brotrinden oder Nüsse, verzichten. Ganz wichtig bei allen Discus-Verlagerungen ist eine Überprüfung und Korrektur der Zahnstellungen, die häufig die Ursache für solche Kiefergelenksbeschwerden sind. Auch Physiotherapie und eine sanfte Massage können helfen, die Schmerzen zu lindern.“
Was bringt Kiefergymnastik?
Prof. Ewers: „Die Entspannung und Dehnung der Kiefer- und Gesichtsmuskulatur ist ein wichtiger Teil der Therapie, den der Patient selbst durchführen kann, auch prophylaktisch. So hilft es, mehrmals am Tag die Kiefermuskulatur zu massieren und den Mund mehrfach hintereinander geradlinig zu öffnen und zu schließen. Da häufig psychische Belastungen eine Rolle spielen, helfen Methoden zum Stressabbau, um mögliche Verspannungen im Bereich des Kiefers zu lösen. Auch die richtige Schlafposition kann dazu beitragen, den Kiefer zu entlasten: Optimal ist in diesem Fall die Rückenlage.“
Kommen auch operative Therapien in Frage?
Prof. Ewers: „Es gibt Operationsverfahren, z.B. bei einer immer wieder kehrenden Luxationen des Kiefergelenks und auch bei Discus-Verlagerungen. Ich empfinde sie in den meisten Fällen als unnötig und für den Patienten auch als äußerst unerfreulich. Es werden Gesichtsmuskeln durchtrennt, es besteht Gefahr für den Gesichtsnerv – ich behandle meine Patienten nach der Devise, solche Operationen möglichst zu vermeiden.“
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