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Körpereigene Waffen gegen Krebs

Immunonkologie

Dr. Wilfried Stücker

Die Immunonkologie nutzt unser körpereigenes Abwehrsystem, um Krebszellen zu bekämpfen. Nachdem der Nobelpreis für Medizin im vergangenen Jahr an zwei Forscher gegangen ist, denen – so hieß es in der Begründung – ein „Meilenstein im Kampf gegen Krebs“ gelungen ist, ist die Immuntherapie weltweit in den Fokus gerückt. Zu recht, sagt Dr. Wilfried Stücker, Spezialist für Immunonkologie und Geschäftsführer des Immun-Onkologischen-Zentrums Köln (IOZK).

Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO

Warum kommt der Immun-Therapie bei Krebserkrankungen eine so entscheidende Bedeutung zu?

Dr. Stücker: „Unser Immunsystem ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass wir gesund sind. Tag für Tag beseitigt es schädliche Zellen und Krankheitserreger. Darin steckt ein enormes Potential, auch für die Therapie von Krebserkrankungen. Besser als jede von außen wirkende Therapie kann bei Krankheiten unser eigenes Immunsystem erreichen, dass wir gesund werden. Und die Immunonkologie unterstützt das Immunsystem dabei, seinen ‚Job’ noch besser zu machen. Dadurch haben wir die Chance, den Krebs nicht nur zu kontrollieren, sondern tatsächlich in immer mehr Fällen auch zu heilen.“

Vereinfacht gesagt heißt es in der Begründung der Nobelpreis-Jury, den beiden Forschern sei es gelungen, die „Bremsen“ des Immunsystems zu lösen, damit es Krebszellen attackieren kann. Was genau bedeutet das?

IOZK Labor

Dr. Stücker: „Die beiden Nobelpreisträger haben zwei unterschiedliche Bremsmechanismen des Immunsystems entschlüsselt. Zum einen gibt es die generelle ‚Bremse’, die verhindert, dass unser Immunsystem willkürlich gesunde, körpereigene Zellen attackiert. Wenn man diese Bremse löst, kommt es zu einer Autoimmunreaktion. D.h. der Körper versucht Tumorzellen zu vernichten, aber kann dabei auch andere, lebenswichtige Körperzellen angreifen. Die zweite Entdeckung bezieht sich auf die Möglichkeit, das Immunsystem beim Angriff auf die Tumorzellen zu unterstützen. Bestimmte Zellstrukturen der Tumorzellen unterdrücken die Immunreaktion und vernichten damit angreifende Immunzellen. Wir wissen nun, dass es mit Hilfe von Antikörpern möglich ist, die Immunzellen vor der Vernichtung durch die Tumorzellen zu schützen und können dadurch erreichen, dass die Immunzellen die Tumorzellen vernichten. Wir hier beim IOZK schaffen u.a. mittels einer Impfung die Voraussetzungen dafür, dass das Immunsystem gegen den Tumor aktiv wird. Danach können die Antikörper das den Tumor angreifende Immunsystem wirksam unterstützen. In der Kombination liegt die Stärke!“

Welche Tumorarten können mittlerweile mit Hilfe einer Immuntherapie behandelt werden?

Dr. Stücker: „Die großartige Nachricht ist: Grundsätzlich alle, egal wo sie sich befinden. Natürlich sind einige Tumore immunogener als andere, d.h. sie werden leichter vom Immunsystem entdeckt und lassen sich auch leichter bekämpfen. Aber grundsätzlich kann die Immuntherapie alle Tumore und Metastasen in jedem Körperteil erreichen. Bisher war es so, dass bereits metastasierte Patienten nur sehr schlecht erfolgreich behandelbar waren. Dank der Immuntherapie sind wir in der Lage, auch bei Patienten mit multiplen Metastasen eine nachhaltige Komplettremission, also eine Heilung, zu erreichen – das finde ich schon sehr beeindruckend.“

Ist die Immuntherapie als Primärtherapie möglich oder nur als Ergänzung zu klassischen Krebstherapien wie Chemo- oder Radiotherapie?

Dr. Stücker: „Sie ist auf jeden Fall eine Primärtherapie, wenn die Voraussetzungen vorhanden sind. Das erklärt sich schon dadurch, dass jede Radio- und jede Chemotherapie das körpereigene Immunsystem schwächt. Je früher eine Immuntherapie zum Einsatz kommt, desto besser. Studien haben bereits sehr gute Erfolge bei der Immuntherapie von bösartigem Hautkrebs und Lungenkarzinomen nachgewiesen. Die einzige Bedingung für den Erfolg ist, dass das Immunsystem bereits versucht hat, den jeweiligen Tumor zu attackieren. Dann können wir dafür sorgen, dass Immunzellen vor Gegenangriffen des Tumors geschützt werden und diesen anschließend vernichten können.“

„Mit dem körpereigenen Abwehrsystem Krebs heilen“ – ruft das nicht jede Menge Scharlatane und selbsternannte „Wunderheiler“ auf den Plan?

Dr. Stücker: „Wer der Meinung ist oder damit wirbt, allein durch die Stärkung des Immunsystems eine Krebserkrankung zu verhindern oder gar zu bekämpfen, ist auf dem Holzweg. Im Zweifel kann eine unspezifische, stärkende Immuntherapie das Wachstum von Krebszellen sogar fördern, da diese, wie alle Zellen, von einer guten Stoffwechselversorgung abhängig sind. Eine spezifische und personalisierte Immuntherapie gehört immer in die Hände von medizinischen Experten, weil jeder Tumor und jedes Immunsystem anders ist. Das sollte jedem klar sein.“

Wo gibt es noch Forschungs- und Weiterentwicklungsbedarf im Bereich der Immuntherapien?

Dr. Stücker: „Die Immunonkologie ist ein sehr spannendes Feld und wir sind trotz der hervorragenden Forschungsergebnisse noch lange nicht am Ende. Wichtig ist, die Immuntherapie immer weiter zu spezifizieren und die Wechselwirkung zwischen Tumorgewebe und dem Immunsystem individuell zu berücksichtigen.

Hierbei ist auch zu beachten, das tatsächlich nur Tumorzellen angegriffen werden und keine anderen Körperzellen.  Je physiologischer und spezifischer eine Therapie ist, desto effektiver ist sie und die Nebenwirkungen werden immer geringer.

Eine sehr effektive Immuntherapie ist z.B. die Car-T-Zelltherapie: Hier werden Immunzellen zum Töten von Tumorzellen gentechnisch verändert. Die Zielstrukturen für diese Car-T-Zellen dürfen alleine nur in den Tumorzellen vorkommen und nicht in gesunden Zellen. Somit ist die Car-T-Zelltherapie nur bei einigen wenigen Tumorarten möglich, bei denen die Zellstrukturen in den Tumorzellen einzigartig sind und stabil bleiben. Diese Voraussetzungen sind bei soliden Tumoren nicht gegeben, weil diese sich fortlaufend dem umgebenden Gewebe anpassen müssen.“

Inwieweit hat der Nobelpreis geholfen, die Immuntherapie weiter in den Fokus zu rücken?

Dr. Stücker: „Der Nobelpreis für Medizin von 2011 wurde für die Entschlüsselung der Initiierung der Immunreaktion verliehen. Dieses Prinzip nutzen wir hier am IOZK seit ca. 20 Jahren.  Die Forscher, die 2018 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet wurden, haben diese Entdeckungen weiter vorangetrieben. Wir sind mittlerweile in der Lage, darauf zu reagieren, dass ein Tumor ‚Fake News’ verbreitet und dem Immunsystem vorgaukelt, er sei harmlos. Wie in der Gesellschaft ist es auch in der Immunonkologie wichtig, dieses Streuen von Falschmeldungen zu entlarven. Wenn wir es anschließend schaffen, die Selbstheilungskräfte des Körpers zielgenau zu aktivieren, kommen wir der Heilung von Krebserkrankungen näher.  Daher bin ich felsenfest davon überzeugt, dass die Immuntherapie in Zukunft eine entscheidende Säule der Krebstherapie darstellen wird.“

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