Kombinierte Krebs-Diagnose und -Therapie
PRIMO MEDICO Fachredaktion
Die Nuklearmedizin nutzt radioaktive Moleküle für eine Kombination aus Befund und Therapie, durch die immer größere Erfolge in der Tumorbehandlung verzeichnet werden.
Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Das Prinzip war lange Zeit vor allem bei Schilddrüsenerkrankungen bekannt: Die Speicherung von Jod, das sich in der Schilddrüse anreichert, wird durch die Nuklearmedizin genutzt, um mit radioaktiven Substanzen die Funktion des Organs zu untersuchen. Die festgestellten Erkrankungen können dann durch die Verabreichung größerer Mengen von radioaktivem Jod behandelt werden. Das kranke Gewebe wird dabei von innen bestrahlt und gezielt ausgeschaltet. Der Einsatz von radioaktiven Substanzen gilt hier seit Jahren als hochwirksames und sicheres Routineverfahren. Univ.-Prof. Dr. med. Frank M. Bengel ist Spezialist für Nuklearmedizin und Direktor der Klinik für Nuklearmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Dank praxisnaher Entwicklungsarbeit wird die gezielte Erkennung und Behandlung mit radioaktiven Molekülen dort mittlerweile auch bei anderen Tumoren erfolgversprechend eingesetzt. So führen Prof. Bengel und sein Team an der MHH auch Radionuklid-Therapien bei fortgeschrittenem Prostatakarzinom, neuroendokrinen Tumoren und Lebertumoren durch. Diese neuen Techniken sind bisher nur an wenigen hochspezialisierten, meist universitären Zentren verfügbar.
Krankheitsprozesse frühzeitig erkennen
Das Fachgebiet der Nuklearmedizin nutzt radioaktiv markierte Biomoleküle, sogenannte „Tracer“, um Einblicke in die Funktionsabläufe des Körpers zu gewinnen. Dank dieser Tracer könnten Krankheitsprozesse bereits in einem frühen Stadium erkannt werden und die richtige Therapieentscheidung erleichtern, erläutert Prof. Bengel: „In bösartigen Tumoren sind verschiedene biologische Prozesse, wie z.B. der Stoffwechsel, oder spezielle Eigenschaften der Zelloberfläche verstärkt zu beobachten. Wenn wir dem betroffenen Patienten passend zu diesen Prozessen radioaktive Marker zuführen, können wir diese mit unseren Kamerasystemen nachweisen und so Tumorherde erkennen, die bei anderen Verfahren unter Umständen nicht oder nur schwer nachweisbar sind. Bei Prostata-Karzinomen verwenden wir hierfür z.B. einen PSMA (Prostataspezifisches Membranantigen) – Oberflächenmarker, bei anderen Tumoren Zuckerstoffe oder andere Tracer“. Prof. Bengel betont, dass es sich bei der Nuklearmedizin immer um Ganzkörperverfahren handelt: „Während man bei anderen Bildgebungsverfahren Teilbereiche des Körpers überprüft, verteilen sich die radioaktiven Tracer im gesamten Körper und können bildlich dargestellt werden. Das hat den großen Vorteil, dass wir Tumore auch dort erkennen, wo wir sie ursprünglich nicht vermutet haben. Wenn wir zum Beispiel nach einem möglichen Tumor in der Lunge suchen, können wir gleichzeitig herausfinden, ob sich noch in anderen Organen Tumorherde entwickelt haben“. Auch bei der Überprüfung während oder nach einer Krebsbehandlung erweist sich die molekulare Bildgebung der Nuklearmedizin als verlässliche Methode, um die Wirksamkeit der Behandlung oder auch mögliche Rezidive, also ein Wiederauftreten der Krankheit, schnellstmöglich zu erkennen.
Theragnostik – ein Molekül für Diagnose und Therapie
Die Nuklearmedizin macht sich verstärkt das Prinzip der sogenannten „Theragnostik“ zunutze, d.h. ein und dasselbe biologische Molekül wird sowohl für den Befund, als auch für die Behandlung eingesetzt. Prof. Bengel und sein Team setzen für die Diagnose eines möglichen Tumors in der Regel schwach radioaktiv markierte Moleküle ein. In der Therapie wird das gleiche Molekül dann für eine gezielte Bestrahlung mit stärkeren Alpha- oder Beta-Strahlen präpariert. „Auch hier gilt wieder der große Vorteil der Therapiemöglichkeit für den gesamten Körper“, so Prof. Bengel, “Die Moleküle binden sich gezielt an die Tumorzellen und bestrahlen sie. Im Grunde ist das wie eine exakt gesteuerte Kombination aus lokaler Strahlen- und Medikamententherapie zu verstehen“.
Schonende Therapie für Krebspatienten
Auch wenn die Verwendung von radioaktiven Substanzen sicher bei einigen Patienten Ängste vor Strahlenschäden hervorrufen mag – sie ist als extrem schonende Therapieform mit geringen Nebenwirkungen anerkannt. Bei einer Radionuklid-Therapie nimmt der Tumor die Substanz rasch auf. Aus dem übrigen Körper wird sie über Nieren und Leber ausgeschieden. Nur in seltenen Fällen kann es zu Funktionsbeeinträchtigungen der Nieren oder anderer Organe wie Speicheldrüsen, Magen und Leber kommen. Im Vergleich zu anderen Tumortherapien ist dies jedoch weit weniger häufig. Im Rahmen der langfristigen Nachsorge werden diese Organe und auch das Knochenmark dennoch genauestens überprüft, betont Prof. Bengel: „Man muss wissen, dass die nuklearmedizinische Behandlung durchaus eine hohe Erfolgsquote aufweist, obwohl sie häufig erst dann eingesetzt wird, wenn andere Therapien nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben. Auch für diese Betroffenen können wir immer noch die Chance auf ein Überleben erhöhen und die Lebensqualität verbessern“.
Rasante Entwicklung
Professor Bengel hofft darauf, den Einsatz der nuklearmedizinischen Theragnostik in den kommenden Jahren noch ausweiten zu können: „Zur Zeit läuft die Suche nach neuen Biomolekülen, die als radioaktive Trägerstoffe in Frage kommen. Weitere Moleküle befinden sich bereits in der konkreten Forschung. So zum Beispiel ein Molekül für Patienten mit Prostatakarzinomen, die den Oberflächenmarker PSMA nicht aufweisen“. Der renommierte Spezialist ist sicher: Die rasante Entwicklung der Nuklearmedizin hat ihren Höhepunkt noch lange nicht erreicht.