Krebsimpfung erhöht die Heilungschancen
Tumorimpfung
Durch eine Impfung mit Tumorzellen wird das Immunsystem darauf trainiert, Krebszellen zu erkennen, anzugreifen und zu vernichten, erklärt Doktor Wilfried Stücker, Spezialist für Immunonkologie am Immun-Onkologischen Zentrum Köln.
Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Wie funktioniert eine Tumorimpfung?
Dr. Stücker: „Das Problem bei Krebserkrankungen ist, dass das Immunsystem die Krebszellen nicht als ‚fremd’ oder ‚gefährlich’ erkennt. Daher kombinieren wir Krebszellen mit einem Virus, um eine Immunantwort zu bewirken. Mit Hilfe des Virus erkennt das Immunsystem die Tumorzellen und vernichtet sie. Das Immunsystem wird sozusagen „trainiert“, die Krebszellen zu erkennen und ein Wiederauftreten der Krebserkrankung (Rezidiv) zu verhindern bzw. Metastasen zu bekämpfen.“
Wirkt der Impfstoff nur in dem Moment, in dem er sich im Körper befindet oder hat er einen Langzeiteffekt?
Dr. Stücker: „Es gibt zwei verschiedene Verfahren: Die aktive und die passive Immuntherapie. Bei der aktiven Tumorimpfung entwickelt das Immunsystem selbst die Immunantwort und profitiert langfristig von diesem Lerneffekt. Bei der passiven Immuntherapie werden Antikörper mit einer Halbwertzeit von etwa drei Wochen injiziert. Diese Therapie muss regelmäßig aufgefrischt werden.“
Wie gewinnen Sie den körpereigenen Impfstoff?
Dr. Stücker: „Die Impfung wird mit Zellbestandteilen aus dem Krebsgewebe des Patienten durchgeführt. Dieses wird zuvor bei einer Operation oder durch gesonderte Eingriffe entnommen. Wenn bereits Metastasen vorhanden sind, können die Tumorzellbestandteile auch aus dem Blut gewonnen werden. Die Zellen werden anschließend im Labor so aufbereitet, dass sie nicht mehr weiterwachsen und dahingehend verändert, dass sie vom Immunsystem als gefährlich eingestuft werden. Anschließend werden sie mit dendritischen Zellen in die Haut gespritzt, wo sie durch das Lymphgefäßsystem schnell zu den Lymphknoten gelangen. Die dort konzentrierten Killerzellen übernehmen die neuen Informationen, suchen anschließend im Körper nach den spezifischen Tumorzellen und behindern deren Wachstum.“
Für welche Patienten ist eine Krebsimpfung geeignet?
Dr. Stücker: „Voraussetzung für eine Impfung ist, dass es sich um bösartige solide Tumore handelt, die metastasieren können, und bisher auf die gängigen Krebstherapien nicht gut ansprechen.“
Ist eine Tumorimpfung eher im frühen oder späten Krankheitsstadium sinnvoll?
Dr. Stücker: „Die besten Effekte erzielen wir, wenn die Krebsimpfung sehr früh vorgenommen wird. Wir sprechen von einer Sekundär-Prophylaxe, also einer vorbeugenden Behandlung, damit ein Tumor nach einer Operation nicht erneut auftritt bzw. Metastasen entstehen.“
Können Patienten aus Eigeninitiative eine Tumorimpfung verlangen oder nur auf Zuweisung durch behandelnde Ärzte?
Dr. Stücker: „Da die neuen Immuntherapien noch nicht als Standard-Krebstherapien etabliert sind, ist immer ein gewisses Maß an Eigeninitiative der Patienten notwendig. Sofern der behandelnde Arzt eine Immuntherapie nicht von sich aus anspricht, sollten die Patienten in jedem Fall nachfragen und sich ggf. eine Zweitmeinung einholen. Leider gibt es noch nicht viele Zentren in Deutschland, die diese Therapien anbieten.“
Welche Nebenwirkungen hat eine Krebsimpfung?
Dr. Stücker: „Der große Vorteil einer Tumorimpfung ist, dass die Nebenwirkungen zu vernachlässigen sind, obwohl dem Körper mit den Tumorzellbestandteilen ein Virus zugeführt wird. Gesunde Körperzellen sind in der Lage, das Virus durch die Bildung von Interferon abzuwehren. Da Tumorzellen in der Regel nicht genügend Interferon produzieren können, werden nur sie mit dem Virus infiziert und vom Immunsystem angegriffen. Das kann allenfalls bei der Erstimpfung grippale Symptome verursachen.
Bei Wiederholungsimpfungen treten in der Regel gar keine Nebenwirkungen auf.“
Ist eine Kombination mit anderen Krebstherapien möglich?
Dr. Stücker: „Die Impfung wird in der Regel nach einer Operation bzw. vor oder nach einer Chemotherapie durchgeführt. Allerdings prüfen wir im Einzelfall, ob der Organismus des Patienten nach einer erfolgten Chemotherapie überhaupt noch in der Lage ist, eine Immunreaktion zu bewirken. Dies ist immer eine individuelle Einzelfallentscheidung.“
Wie aufwändig ist eine Krebstherapie mit einer Tumorimpfung?
Dr. Stücker: „Natürlich ist eine individuelle, personalisierte Therapie aufwändig. Am Anfang steht eine immun-onkologische Diagnose: Wir müssen herausfinden, wie das Immunsystem des Patienten funktioniert und ob wir die Interaktionen zwischen Immunsystem und Tumorzellen berücksichtigen müssen. Die Laborergebnisse liegen in der Regel innerhalb von zwei Wochen vor. Anschließend erstellen wir einen Therapieplan und führen zeitnah die erste Impfung durch. Das Vermeiden von langen Wartezeiten ist wichtig, da das Tumorgeschehen aktiv und wandelbar ist und wir schließlich nicht den veralteten Zustand von gestern behandeln wollen.“
Ist eine wiederholte Tumorimpfung möglich bzw. notwendig?
Dr. Stücker: „Der Erfolg der Impfungen muss regelmäßig kontrolliert werden. Da Tumore mutieren und sich immer wieder verändern können, muss auch die immun-onkologische Therapie entsprechend angepasst werden. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass eine Behandlung wiederholt, bzw. aktualisiert werden muss.“
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