„Wir schenken Lebenszeit und Lebensqualität“
Neurochirurgie
Die moderne Neurochirurgie bietet Patienten mit Tumoren, Metastasen oder krankhaften Gefäßveränderungen im Gehirn gute Chancen, sagt PD Dr. med. Martin Barth, Spezialist für Neurochirurgie und Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie im Klinikum Frankfurt Höchst.
Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Welche Hirntumore kommen am häufigsten vor?
PD Dr. Barth: „Wir unterscheiden zunächst zwischen primären und sekundären Tumoren im Gehirn, die teils gutartig, teils bösartig sein können. Zu den häufigsten gutartigen Tumoren gehören die Meningeome, die im von jedem Teil der Hirnhaut entstehen können. Bei den bösartigen Tumoren sind vor allem Glioblastome zu nennen. Am häufigsten operativ behandelt werden Patienten mit Glioblastomen, gefolgt von Patienten mit Metastasen (sekundären Tumoren, die von Krebserkrankungen in anderen Bereichen des Körpers ausgehen) und Meningeomen.“
Gibt es Patientengruppen, die besonders häufig betroffen sind?
PD Dr. Barth: „Grundsätzlich kann die Diagnose ‚Hirntumor’ jeden treffen. Am Häufigsten treten Hirntumore aber zwischen dem 50. Und 70. Lebensjahr auf.“
Welche Beschwerden und Symptome lösen Hirntumore aus?
PD Dr. Barth: „Gutartige Hirntumore sind häufig reine Zufallsbefunde, die z.B. bei einer Kernspintomographie (MRT) wegen unspezifischen Symptomen wie Schwindelgefühl o.ä. entdeckt werden. Meningeome wachsen sehr langsam und verursachen daher erst dann Beschwerden, wenn sie schon relativ groß sind oder an strategisch ungünstigen Stellen wachsen. Schneller wachsende, bösartige Tumore lösen früher Symptome aus. Dazu können Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, Schwindel, Krampfanfälle oder auch Funktionsstörungen wie z.B. Lähmungen zählen.“
Welche Diagnose-Schritte sind notwendig, um einen Hirntumor nachzuweisen?
PD Dr. Barth: „Bei akuten Beschwerden wird häufig zunächst eine Computertomographie (CT) durchgeführt, sie stellt sozusagen ein Schnellsuchverfahren bei Notfällen dar. Das Verfahren der Wahl zur Darstellung eines Hirntumors ist aber die Kernspintomographie (Magnetresonanztomographie, MRT).“
Wovon ist es abhängig, ob ein Hirntumor operiert wird oder nicht?
PD Dr. Barth: „Ob ein Hirntumor operabel ist, machen wir in der Regel von vier Faktoren abhängig: Von der Art des Tumors, die aufgrund von bildmorphologischen Kriterien bestimmt wird, vom seinem Wachstumverhalten, vom Alter des Patienten und von der Lage des Tumors im Gehirn. Ein 90-jähriger Patient mit einem gutartigen kleinen Meningeom, welches keine neurologischen Ausfälle oder sonstigen Beschwerden verursacht, würde z. B. keiner Behandlung bedürfen. Dagegen würde man einem 30-jährigen Patienten mit einem bereits ca. 4 cm messenden Meningeom eher zu einer Operation raten.“
Wie belastend ist die Entfernung von Hirntumoren für die Patienten?
PD Dr. Barth: „Die größte Belastung ist der Schock, der häufig mit der Diagnose ‚Hirntumor’ einhergeht. Uns gelingt es allerdings meistens, den Betroffenen während des Aufklärungsgesprächs die Angst vor der Diagnose zu nehmen. Denn der Eingriff selbst ist körperlich meistens nicht sehr belastend. Eine typische Frage im Aufwachraum nach der OP lautet häufig: ‚Was, ist es schon vorbei?’“
Welche Form der Narkose wird angewendet?
PD Dr. Barth: „Wir operieren alle Hirntumore in Vollnarkose. Es gibt Ausnahmen, bei denen der Patient nach dem Zugang durch den knöchernen Schädel (Kraniotomie) während des Eingriffs wach gemacht wird. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn wir einen Tumor entfernen müssen, der in der Nähe der Sprachregion lokalisiert ist. Hier wird während der OP durch Sprachtherapeuten getestet, ob Sprachstörungen während der OP auftreten.“
Wie lange müssen die Patienten nach einer Hirnoperation im Krankenhaus bleiben?
PD Dr. Barth: „Gehirntumore werden immer stationär behandelt. So können mögliche Komplikationen früh erkannt und behandelt werden. Haben Patienten vor der Operation keine neurologischen Ausfälle, sind diese Patienten in der Regel bereits am Tag nach der Operation wieder mobil und können bereits nach ca. 5 Tagen entlassen werden. Haben Patienten durch den Hirntumor Ausfälle wie z. B. eine Halbseitenlähmung oder muss der Tumor nachbehandelt werden, kann die Organisation der weiteren Schritte einige Tage mehr in Anspruch nehmen. Dies beinhaltet z. B. die Weiterbehandlung in einer Rehabilitation oder die Organisation eine Radio- oder Chemotherapie bei bösartigen Tumoren.“
Wie gut sind die Heilungschancen von Hirntumoren?
PD Dr. Barth: „Von einer Heilung durch die Operation können wir nur bei gutartigen Hirntumoren sprechen. Bei bösartigen Tumoren ist durch eine Operation alleine keine Heilung zu erreichen, da diese Tumore einen fließenden Übergang zum normalen Gehirn haben und sich die Tumorzellen innerhalb des Gehirns über weite Strecken ausbreiten können. Hier kommt es darauf an, wie gut die bösartigen Tumore auf die nachfolgenden Therapien reagieren. Trotzdem bleibt die Operation bis jetzt der erste wichtige Schritt bei der Behandlung von bösartigen Hirntumoren. Sie hat das Ziel, die Lebenszeit zu verlängern und die Lebensqualität unserer Patienten zu verbessern, indem die Tumormasse und somit das Tumorwachstum kontrolliert und Beschwerden gelindert werden.“
Welche Therapieoptionen gibt es bei Gefäßerkrankungen im Bereich des Kopfes, z.B. bei Aneurysmen oder anderen Gefäßveränderungen?
PD Dr. Barth: „Bei Gefäßerkrankungen im Gehirn ist es wichtig, dass in der behandelnden Klinik sowohl Neurochirurgen als auch Neuroradiologen vorhanden sind. Nur im Team ist bei diesen Erkrankungen eine optimale Behandlung möglich. Dies gilt für alle Formen von cerebralen Gefäßerkrankungen wie Angiome, Cavernome oder Aneurysmen (Aussackungen der Hirnarterien). Je nach Erkrankung und individuellem Befund kann dann die Behandlung bestehen aus einer rein endovaskulären (über einen Katheter), einer rein operativen oder einer gemischt endovaskulär/operativen Versorgung.
Inwiefern haben moderne Operations- und Überwachungsverfahren dazu beigetragen, notwendige Eingriffe im Bereich des Gehirns sicherer zu machen?
Dr Barth: „Sie haben eindeutig zu einer erhöhten Operationssicherheit beigetragen. Hier sind vor allem die intraoperative Elektrophysiologie zur Funktionskontrolle und die intraoperative fluoreszenzgestützte Tumorresektion zu nennen. Mit deren Hilfe können wir besser unterscheiden, wo sich neben normalem Gehirn noch Tumorgewebe befindet. Dazu wird dem Patienten vor der Operation ein Medikament verabreicht, welches sich vor allem in Tumorzellen ansammelt. Unter speziellem Licht sind dann die fluoreszierenden Tumorzellen gut zu erkennen und erhöhen dadurch das Ausmaß und den Erfolg der Tumorentfernung.“
Welche Entwicklungen erwarten Sie in nächster Zeit, die die Operation von Hirntumoren noch erleichtern könnten?
PD Dr. Barth: „Unsere OP-Techniken sind schon sehr ausgereift. Ich denke, dass sich die Therapien nach der Operation stark verändern werden. Leider sind diese zurzeit gerade bei den bösartigen Glioblastomen noch nicht wirkungsvoll genug.
Die Grundlagenforschung kennt viele Wege, das ungebremste Wachstum von Tumorzellen zu bremsen oder gar verhindern. Einige dieser Konzepte werden sicher in der Zukunft den Weg in die klinische Forschung und später auch in die klinische Anwendung finden, so dass wir hier effektivere systemische Therapien erwarten können.“
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