Schonende Behandlung bei Tumoren am Kopf
Protonentherapie
Bei Tumorerkrankungen im Bereich des Kopfes oder Halses stellt die Bestrahlung mit Protonen eine effektive, aber nebenwirkungsarme Therapiemethode dar, sagt Prof. Dr. med. Damien C. Weber, Spezialist für Strahlentherapie und Radioonkologie und Leiter des Zentrums für Protonentherapie (ZPT) des Paul Scherrer Instituts (PSI) in Villigen, Schweiz.
Wann werden Tumore am Kopf bestrahlt statt operiert?
Prof. Weber: „Für die meisten Tumorpatienten ist ein individuell abgestimmtes Behandlungskonzept aus verschiedenen Behandlungsformen die beste Strategie, um den Tumor langfristig zu kontrollieren. Dies gilt auch für Tumore im Kopfbereich. Sofern eine Operation möglich ist, ist dieser Eingriff immer die erste Wahl und der Tumor wird entfernt, ganz oder teilweise. Eine anschließende Bestrahlung, häufig in Kombination mit einer Chemotherapie, sichert dann einen langfristigen Therapieerfolg. Je nach Lage des Tumors kann von einem operativen Eingriff ganz abgeraten werden, wenn wichtige Nachbarstrukturen zu stark geschädigt würden. Auch in diesen Fällen kann eine Bestrahlung helfen, ein Weiterwachsen des Tumors zu verhindern.“
Warum ist die Protonentherapie für Tumore am Kopf besonders gut geeignet?
Prof. Weber: „Durch die physikalischen Eigenschaften der Protonenstrahlen kann die Strahlendosis sehr exakt auf den Tumor gelenkt werden. Umliegendes, gesundes Gewebe wird maximal geschont. Da sich im Kopf viele Organe mit wichtigen Funktionen für den Menschen befinden, z.B. Hypothalamus, Hypophyse, Sehnerv und Schilddrüse, ist die Protonentherapie durch ihre Präzision für Tumore im Kopfbereich besonders geeignet. Die Dosis im gesunden Gewebe und folglich auch das Risiko von Spätfolgen durch die Bestrahlung werden erheblich reduziert.“
Wird die Protonentherapie als alleinige Methode eingesetzt oder in Kombination mit anderen Behandlungsverfahren?
Prof. Weber: „Ja genau, die Protonentherapie wird häufig im Rahmen von Kombinationstherapien eingesetzt. In einem Tumorboard besprechen Ärzte verschiedener Fachrichtungen, wie die beste Behandlungsstrategie für den Patienten aussieht. Einer Operation folgt häufig eine Bestrahlung. Die Entscheidung, ob herkömmliche Strahlentherapie zum Einsatz kommt oder Protonen, richtet sich meist nach der Lage, der Art des Tumors und der lokalen Aggressivität. Wenn es gilt, empfindliche Nachbarstrukturen bestmöglich zu schonen, ist eine Bestrahlung mit Protonen zu empfehlen. Eine zusätzliche Chemotherapie wird vor allem dann angewendet, wenn kleinste Tumorzellen im ganzen Körper streuen können und dies durch eine systemische Therapie verhindert werden soll.“
Gibt es Ausschlusskriterien für eine Protonentherapie am Kopf?
Prof. Weber: „Im Prinzip gibt es keine protonenspezifischen Ausschlusskriterien. Immer wenn eine Bestrahlung angezeigt ist, kann diese mit Protonen erfolgen. Allerdings ist eine Protonentherapie ungefähr doppelt so teuer wie eine herkömmliche Bestrahlung, aufgrund der immensen Investitions- und Instandhaltungskosten dieser aufwändigen Technik. Von der Krankenkasse werden daher bei Erwachsenen nur Bestrahlungen mit Protonen bezahlt, bei denen ein Vorteil gegenüber der herkömmlichen Bestrahlung zu erwarten ist.
Für Kinder ist eine Protonentherapie ganz besonders geeignet. Der Körper ist während der Wachstumsphase besonders empfindlich gegenüber ionisierenden Strahlen. Umso wichtiger ist es, ganz präzise nur die Strahlung auf den Tumor zu lenken, und Nebenwirkungen der Bestrahlung so gering wie möglich zu halten. Aufgrund der langen Lebensdauer, die Kinder noch vor sich haben, wird durch eine Protonenbestrahlung auch das Risiko von Zweittumoren, die erst Jahre oder Jahrzehnte nach einer Bestrahlung auftreten können, im Vergleich zu herkömmlicher Strahlentherapie vermindert.“
Wie aufwändig ist die Behandlung im Rahmen einer Protonentherapie?
Prof. Weber: „Nachdem wir den Patienten zu einer ersten Konsultation gesehen und ihn über die anstehende Bestrahlung aufgeklärt haben, erfolgt die detaillierte, ca. zwei- bis dreiwöchige Bestrahlungsplanung, an der Ärzte, Radiologie-Fachpersonen, Medizin-Physiker und Techniker beteiligt sind. Die berechnete Gesamtstrahlendosis wird in Fraktionen aufgeteilt und dann in täglichen Sitzungen verabreicht bis die Gesamtdosis erreicht ist. Eine komplette Bestrahlung erstreckt sich in der Regel über 6-8 Wochen und wird ambulant, von montags bis freitags durchgeführt. Eine Sitzung dauert ungefähr45 Minuten, wobei die meiste Zeit für die genaue Lagerung des Patienten verwendet wird. Die Bestrahlung selbst ist völlig schmerzfrei und dauert nur ein paar Minuten. Es ist essentiell für den Behandlungserfolg, dass der Patient in jeder Sitzung genau gleich positioniert wird und ganz ruhig liegen bleibt. Für die Bestrahlung am Kopf werden daher individuell angefertigte Lagerungshilfen (Beißblock oder Gesichtsmaske) eingesetzt, damit der Patient sich nicht bewegen kann und die Strahlen präzise den Tumor treffen.
Da wir auch viele Kinder behandeln, die nicht die ganze Zeit ganz ruhig liegen bleiben können, arbeiten wir mit einem Anästhesisten-Team des Kinderspitals Zürich zusammen. Die Bestrahlung erfolgt bei kleinen Kindern in Narkose.“
Mit welchen Nebenwirkungen und Belastungen müssen Patienten bei einer Protonenbestrahlung rechnen?
Prof. Weber: „Während der Bestrahlung kann es zu Hautrötungen inkl. Haarverlust an der Strahleneintrittsstelle kommen. Wenn der Tumor im Hals-Nasen-Ohrenbereich liegt, kann es vereinzelt zu Schluckbeschwerden und Veränderungen im Geruchs- und Geschmackssinn kommen. Auch Kopfschmerzen, Übelkeit und übermäßige Müdigkeit (Fatigue) sind nicht unüblich. Der Patient wird am Anfang ausführlich aufgeklärt. Er wird während der gesamten Bestrahlungszeit von unseren Ärzten und Pflegekräften betreut und bekommt Pflege- und Ernährungshinweise, um die Belastungen möglichst gering zu halten. Die Symptome bilden sich in der Regel nach Abschluss der Behandlung wieder zurück. Die Vorteile der Protonentherapie liegen hauptsächlich in den Spätfolgen einer Bestrahlung – allerdings hat die Universität Groningen in den Niederlanden von weniger Nebenwirkungen bereits während der Bestrahlung mit Protonen bei HNO-Tumoren berichtet, im Vergleich zur herkömmlichen Strahlentherapie. Liegt der Tumor beispielsweise in der Nähe von Hypothalamus, Hypophyse oder Schilddrüse, gelangt weniger Dosis an diese Organe, die Funktionalität bleibt erhalten und die Patienten brauchen keine Ersatztherapie mit Hormonen. Tumore in der Nähe vom Sehnerv können mittels Protonentherapie so präzise bestrahlt werden, dass die Sehfähigkeit intakt bleibt.“
Wie nachhaltig wirkt eine Protonentherapie von Tumoren am Kopf ?
Prof. Weber: „Eine Bestrahlung mit Protonen bewirkt eine mindestens genauso gute langfristige Kontrolle des Tumors wie eine herkömmliche Bestrahlung. Gerade im Kopfbereich, inkl. HNO Tumoren, sind aber Protonen zu empfehlen, da sie weniger unerwünschte Strahlenfolgeschäden verursachen. Dieses vorteilhaftere Nebenwirkungsprofil von Protonen wiederum erlaubt es, dass Tumore mit einer höheren Dosis bestrahlt werden können. Das ist insbesondere bei fortgeschrittenen und strahlenresistenten Tumoren im Kopf- und Halsbereich sinnvoll, um ein Wiederwachsen des Tumors zu verhindern.“
Welche Entwicklungen erwarten Sie im Rahmen der Protonentherapie für die kommenden Jahre?
Prof. Weber: „Die Spot-Scanning-Technik wurde bei uns am Paul Scherrer Institut entwickelt und ist hier seit über 20 Jahren im klinischen Einsatz. Sie gilt noch als modernstes Verfahren der Protonentherapie und wird mittlerweile in vielen anderen Protonenzentren auf der ganzen Welt eingesetzt. Dennoch gehen unsere Forschungsaktivitäten weiter. So sind wir dabei, die Bestrahlung schneller zu machen, was zu einer Verkürzung der Behandlungszeit führt und somit den Patienten entlastet. Auch entwickeln wir unsere Technik weiter, um Tumore im Brust- und Bauchraum exakt bestrahlen zu können. Dies ist besonders schwierig, da sich die Tumore mit der Atmung bewegen. So versuchen wir stetig, uns zu verbessern, und die Protonentherapie zum Wohle der Patienten weiterzuentwickeln.“
Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
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