Schonende Bestrahlung bei Hirntumoren
Protonentherapie
Jedes Jahr erkranken über 7000 Erwachsene in Deutschland an Tumoren des Zentralen Nervensystems, dazu kommen etwa weitere 500 Kinder. Eine Bestrahlung mit Protonen ist eine wirksame aber gleichzeitig äußerst schonende Behandlung, erklärt Prof. Dr. med. Beate Timmermann, Spezialistin für Strahlentherapie und Radioonkologie sowie Direktorin der Klinik für Partikeltherapie am Westdeutschen Protonentherapiezentrum Essen (WPE) im Universitätsklinikum Essen.
Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Warum ist die Protonentherapie für die Behandlung von Hirntumoren besonders geeignet?
Prof. Timmermann: „Die Strahlentherapie hat sich grundsätzlich seit langem als wesentliche Maßnahme zur Heilung für Patienten mit Hirntumoren erwiesen. Als eine neue und vielversprechende Bestrahlungsmethode hat sich die Behandlung mit geladenen Teilchen, wie den Protonen, erwiesen. Protonen entfalten ihre Wirkung erst in dem Moment, in dem sie das Zielgewebe erreichen. Die Strecke zum Tumor lässt sich genau berechnen, so dass die Protonen zielgenau im Tumor wirken können und nicht - wie Photonen bei einer herkömmlichen Bestrahlung - schon auf dem Weg die meiste Energie abgeben. Bei einer so empfindlichen Region wie unserem Gehirn ist das natürlich ein großer Vorteil. Dort liegen verschiedene Funktionsbereiche nah beieinander. Und wir wollen gesunde Areale nicht durch eine Strahlung belasten. Das gilt im Besonderen für so empfindliche Patienten wie Kinder, die noch ein langes Leben vor sich haben und denen durch eine Behandlung natürlich möglichst kein Schaden an anderer Stelle zugefügt werden soll. Aber auch bei Erwachsenen müssen wir versuchen, alle wichtigen Funktionen zu erhalten.“
Podcast Hirntumortherapie - Schonung des gesunden Gewebes
Wirkt die Protonentherapie bei allen Hirntumoren?
Prof. Timmermann: „Die meisten Tumore des Zentralen Nervensystems sprechen grundsätzlich sehr gut auf eine Bestrahlung an. Das heißt wir können bei den meisten Patienten mit Hirntumoren eine Heilung erreichen. Natürlich gibt es Unterschiede hinsichtlich der Strahlenempfindlichkeit. Einige Tumore sind leider sehr resistent und bräuchten zur Tumorkontrolle eine größere Dosis, als wir den Patienten zumuten können. Dazu zählen beispielsweise die äußerst bösartigen Glioblastome. Hier suchen wir in der Onkologie zusammen andere Wege, zum Beispiel durch Kombination mit geeigneten, neuen Medikamenten. Aber die Protonentherapie kann dennoch oftmals dazu beitragen, die Intensität der Therapie zu verstärken, ohne unerwünschte Probleme zu erzeugen. In den meisten Fällen wenden wir aber Protonen an, um Nebenwirkungen zu senken und nicht, um die Intensität zu steigern.“
Wie läuft eine Protonentherapie ab?
Prof. Timmermann: „Ein großer Vorteil der Strahlen- und auch der Protonentherapie ist es, dass die Anwendungen meist ambulant stattfinden. In der Regel kommen die Patienten 6 Wochen lang täglich von montags bis freitags in die Klinik. Die Anwendung selbst ist nicht schmerzhaft und dauert etwa eine Viertel- bis halbe Stunde. Anschließend können die Patienten meist ihren Alltagsverpflichtungen nachgehen, also zur Arbeit oder in die Schule gehen, wenn sie das möchten.
Nur bei kleinen Kindern, die jünger sind als 6 Jahre, nehmen wir eine kurze Sedierung (Narkose) vor, da sie nicht in der Lage sind, während der Behandlung ruhig liegen zu bleiben. Sie schlafen im Arm ihrer Eltern ein, spüren nichts von der Behandlung und wachen im Arm ihrer Eltern wieder auf. Viele wollen hinterher gar nicht direkt nach Hause, sondern erst noch in unserer Kinderecke spielen.“
Die Diagnose „Hirntumor“ macht Angst: Benötigen Patienten im Rahmen einer Protonentherapie auch psychologische Unterstützung?
Prof. Timmermann: „Das ist mir ein großes Anliegen! Leider ist die Strahlentherapie allgemein sehr angstbehaftet. Dabei handelt es sich um eine moderne, sehr verträgliche Anwendung, die nicht nur zur Heilung geeignet ist, sondern sogar als Palliativ-Verfahren, wenn es nicht um Heilung geht, sondern darum, die Lebensqualität bestmöglich zu erhalten und Symptome zu mildern.
Ein Großteil der Angst, die Patienten und Angehörige stark belastet, lässt sich durch eine gute Information im Vorfeld und Betreuung während der Therapie auffangen. Wir haben einen eigenen psychosozialen Dienst im Haus und werden auch durch die Abteilung für Psycho-Onkologie unterstützt. Besonders für unsere kleinen Patienten versuchen wir, die Klinikbesuche so angenehm wie möglich zu gestalten. Das beginnt mit einer gut ausgestatteten Spielecke und reicht bis zu Auftritten von Clowns und Musikern, dem Ausrichten von Prinzessinnen-Tagen, sowie Mal- und Bastelaktionen.“
Welche Nebenwirkungen hat eine Protonentherapie?
Prof. Timmermann: „Die Protonentherapie wird vor allem bei Erkrankungen eingesetzt, bei denen Nebenwirkungen möglichst vermieden werden sollen. Meistens bemerken die Patienten so gut wie keine Probleme während der Behandlung. Wenn überhaupt, berichten Patienten meist vorübergehend von Kopfschmerzen, Müdigkeit oder leichten Hautreizungen. Sogenannte Spätfolgen sind sehr individuell und können aber durch eine Art von Vernarbung in dem Gebiet entstehen, in dem bestrahlt wurde.“
Ist die Protonentherapie als Alleintherapie geeignet?
Prof. Timmermann: „Wie jede Strahlentherapie kann auch die Protonentherapie als alleinstehendes Verfahren angewandt werden. Normalerweise ist die erste Wahl bei einer Krebserkrankung eine Operation. Falls dies nicht möglich ist oder der Tumor nicht vollständig entfernt werden kann, ist eine Radiotherapie eine sehr gute Alternative. Wichtig ist aber dennoch, möglichst eine Probe des Tumorgewebes zu entnehmen (Biopsie), um anschließend die richtige Bestrahlung und Dosis auszuwählen. Auch kann eine Kombination der Protonentherapie mit einer Chemotherapie angezeigt sein.“
Wie gut sind die Heilungschancen mit Hilfe einer Protonentherapie?
Prof. Timmermann: „Sie liegen bei Kindern bei etwa 80 Prozent und bei Erwachsenen um die 60 Prozent. Der Erfolg der Behandlung ist natürlich abhängig von vielen Faktoren, wie etwa dem Stadium der Erkrankung, Art und Lage des Tumors bzw. den Behandlungsmöglichkeiten.“
Wer entscheidet, ob eine Protonentherapie in Frage kommt oder nicht?
Prof. Timmermann: „Für die Behandlung von Kindern mit Hirntumoren gibt es ein bundesweites Hirntumornetzwerk, das Behandlungskonzepte entworfen hat und in dem gemeinsam beraten wird, welcher Fall wie bestrahlt werden sollte. Es wurde ins Leben gerufen, damit jedes Kind die gleichen Behandlungschancen hat. Bei uns im Westdeutschen Protonentherapiezentrum befindet sich das Beratungszentrum dieses Netzwerks, finanziert durch die Deutsche Kinderkrebsstiftung.
Für Erwachsene gibt es so ein Netzwerk leider noch nicht. Für erwachsene Patienten mit Hirntumoren ist eine interdisziplinäre Beratung in sogenannten Tumorboards daher besonders wichtig, bei der Ärzte verschiedener Fachrichtungen gemeinsam überlegen, welche Behandlung in dem jeweiligen Fall am wirkungsvollsten ist. Die Fachgesellschaft der Deutschen Strahlentherapeuten (DEGRO) hat als Hilfestellung auch eine Stellungnahme zum Einsatz der Protonentherapie veröffentlicht. Und gut ist auch, dass eine entsprechende Indikationsliste für die Vergütung der Protonentherapie von den Krankenkassen in Übereinstimmung mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss akzeptiert wurde.“
Es gibt nur eine Handvoll Protonenzentren in Deutschland. Haben überhaupt alle Patienten die Chance auf dieses Behandlungsverfahren?
Prof. Timmermann: „Damit dies erreicht wird, ist es wichtig, dass wir aktiv bleiben und ausreichend Öffentlichkeitsarbeit leisten. Informationen über die Möglichkeiten der Protonentherapie müssen sowohl die Kollegen in den Arztpraxen und Krankenhäusern, als auch die Patienten selbst erreichen. Welche Therapie bei einer Krebserkrankung angewandt wird, erfordert immer eine sehr sorgfältige, individuelle Einschätzung. Damit wirklich alle Behandlungsmöglichkeiten berücksichtigt werden, brauchen wir klare Leitlinien und Empfehlungen. Zurzeit ist ein einheitliches Vorgehen bei Erwachsenen noch schwierig. Wir haben allein in Nordrhein-Westfalen 100 verschiedene strahlentherapeutische Einrichtungen. Und um auch von dort eine Protonentherapie empfehlen zu können, müssen ausreichende Erfahrungen auf diesem Gebiet vorhanden sein, die dann den eben bereits erwähnten Leitlinien als Grundlage dienen. Hier haben die universitären Einrichtungen wie wir natürlich eine Vorreiterrolle.“
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