Verletzung mit Spätfolgen
Kreuzbandruptur
Das vordere Kreuzband (VKBR) gehört zu den verletzungsanfälligsten Strukturen im Kniegelenk, erklärt Dr. med. Gunter Frenzel, Spezialist für Arthroskopische Chirurgie des Kniegelenks und Sportmedizin in der Tagesklinik Esplanade in Berlin-Pankow.
Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Wie entsteht ein Riss des vorderen Kreuzbands?
Dr. Frenzel: „Die Verletzung wird überwiegend bei einer unkontrollierten Rotations-bewegung des Kniegelenks, meist bei sportlichen Belastungen ausgelöst, etwa bei Ball- oder Kampfsportarten, bei Sprüngen und beim Ski Alpin. Ursache ist ein Verdreh/Rotations-trauma bei Beugung in X-Beinstellung. In diesem Fall spricht man von einem Valgusstress bzw. Valguskollaps des Kniegelenkes. Bei einem Rasanztrauma in Überstreckung oder in maximaler Beugung besteht ebenfalls die Gefahr eines Kreuzbandrisses, vielfach mit Begleitverletzungen (Meniskus-Knorpel-Seitenbänder). Ein Kreuzbandriss kann in jedem Alter auftreten: Kinder und Jugendliche sind durch ihr aktives Freizeitverhalten genauso gefährdet wie Senioren.
Welche Symptome verursacht ein Kreuzbandriss?
Dr. Frenzel: „Typisch für einen Riss des vorderen Kreuzbands sind ein deutlich hörbares Knacken oder Plopp-Geräusch im Kniegelenk, ein plötzlich auftretender Schmerz und zunehmende Schwellung. Hinzu kommt meist ein Gefühl der Instabilität und eine Bewegungseinschränkung verbunden mit der Angst, das Kniegelenk könnte nicht ‚halten‘.“
Sollte man bei Verdacht auf einen Kreuzbandriss sofort zum Arzt gehen?
Dr. Frenzel: „Patienten mit einer akuten Knieverletzung beim Sport, im Beruf, im Alltag oder auch Zuhause sollten sich in jedem Fall bei einem Orthopäden, Unfallchirurgen oder Sportmediziner bzw. in einer Rettungsstelle vorstellen, um eine fehlerhafte Diagnose und Behandlung zu vermeiden. Ansonsten besteht die Gefahr einer erneuten Verletzung mit Folgeschäden. Ein Kniespezialist kann aus der Schilderung des Unfallhergangs mit den vorliegenden Symptomen (Anamnese) bzw. mit Hilfe einer Videoanalyse (70 Prozent), der klinischen Untersuchung (80 Prozent) und der bildgebenden Diagnostik wie Röntgen, Magnetresonanz-Tomographie (MRT) oder Computertomographie (CT) zu 90 - 100 Prozent die exakte Diagnose stellen und einen personifizierten Therapieplan erstellen.“
Heilt ein Kreuzbandriss auch ohne Behandlung?
Dr. Frenzel: „Ein Riss des vorderen Kreuzbandes heilt nicht. Die Möglichkeit einer Bandheilung besteht nur bei einer isolierten hinteren Kreuzbandruptur (HKBR). Voraussetzung dafür ist allerdings eine exakte Diagnose.“
Wie erfolgreich kann ein Kreuzbandriss konservativ behandelt werden?
Dr. Frenzel: „Wie gesagt, ein Riss des vorderen Kreuzbands heilt nicht. Bei Komplexverletzungen, die auch Meniskus, Knorpel und Seitenbänder betreffen bzw. wenn gleichzeitig Frakturen, also Brüche auftreten und bei Leistungssportlern wird in der Regel zeitnah operiert. Alle anderen Fälle beginnen mit der konservativen Therapie. Dabei können eine Kniegelenksorthese zur passiven Stabilisierung oder auch Unterarmstützen für Balance, beziehungsweise zur gezielten Be- und Entlastung eingesetzt werden. Hinzu kommen Krankengymnastik und Lymphdrainage im Rahmen der Physiotherapie. Nach 3 bis 6 Wochen ist das Kniegelenk in der Regel abgeschwollen und ausreichend beweglich, so dass eine Streckung und Beugung über einen Winkel von 100 Grad möglich ist. In diesem Zeitabschnitt können alle geeigneten Therapieoptionen besprochen werden, auch unter Einbeziehung persönlicher Anliegen wie Beruf, Familie und Sport. Eine alleinige konservative Therapie ist für bewegungsinaktive, ältere, operationsunwillige Patienten geeignet, denen eine ausreichende muskuläre Führung des Kniegelenks möglich ist, ohne dass ein Gefühl der Instabilität auftritt. Es gibt durchaus Patienten, die im Rahmen einer konservativen Therapie ihr altes Leistungsniveau erreichen. Diese sogenannten ‚Coper‘ sind in der Lage, entstandene Instabilitäten zu kompensieren. In jedem Fall ist eine umfassende Aufklärung bezüglich der Aktivitäts-und Belastungsmöglichkeiten ausschlaggebend für den Erfolg einer konservativen Therapie, der wiederholt kontrolliert werden sollte."
Wann muss ein Kreuzbandriss operiert werden?
Dr. Frenzel: „Ich führe seit 35 Jahren Kreuzbandoperationen aus und bei dieser Entscheidung werden verschiedene Faktoren berücksichtigt. Dazu zählen der Grad der Instabilität, die Aktivität der Patienten in Sport und Beruf, das Lebensalter und mögliche Begleitverletzungen. Gleichzeitig muss berücksichtigt werden, dass eine anhaltende Instabilität und eine gestörte Kinematik des Kniegelenks im Laufe der Zeit zu Meniskus- und Knorpelschäden, zu Arthrose und anderen Verletzungen führen können. Das Kniegelenk wird dynamisch durch die Muskulatur stabilisiert und statisch durch die Gelenkkapsel, Menisken und die Bänder. Das vordere Kreuzband ist der wichtigste, passive Stabilisator. Zusammengefasst bedeutet das: Eine operative Therapie ist bei einer Komplexverletzung des Kniegelenks unumgänglich. Sie empfiehlt sich auch bei einem hohen Aktivitätsgrad im Sport und im Beruf, bei Kindern und Jugendlichen, bei Instabilitäten und als Prävention von Folgeschäden. Allerdings kann selbst eine Operation niemals 1:1 den unversehrten Zustand vor der Verletzung wieder herstellen.“
Wie wird ein gerissenes Kreuzband saniert?
Dr. Frenzel: „Das gerissene Kreuzband wird mit körpereigenen (autologen) Transplantaten ersetzt. Dazu können die Patellasehne der Kniescheibe, Hamstrings (Semitendinosis- oder Gracilissehne des hinteren Oberschenkels) oder die Quadrizepssehne am vorderen Oberschenkel verwendet werden. Insgesamt gibt es mehr als 400 unterschiedliche Operationstechniken, für die natürlich auch weitere Körpersehnen in Frage kommen. Früher war die Verwendung der Patellasehne mit gleichzeitiger Entnahme von zwei Knochenblöcken der Goldstandard. Kritisch wird die Entnahmemorbidität gesehen.
Mit Einführung der Arthroskopie als minimal-invasive Operationstechnik rückte zunehmend die Verwendung der Semitendinosis- und Gracilisehne in den Vordergrund - auch aufgrund ihrer unkomplizierten Entnahme mit einem nur 2 bis 3 cm langen Hautschnitt. Diese OP-Technik wird heute in mehr als 80 Prozent der Fälle erfolgreich praktiziert. Die Quadrizepssehne wird überwiegend bei Revisions-OPs eingesetzt. Grundsätzlich erzielen alle drei Transplantate für den Alltag eine vergleichbare Stabilität und Zufriedenheit. Bei größeren sportlichen Aktivitäten und im Hochleistungssport wird die OP-Technik den individuellen Bedürfnissen und der jeweilig ausgeübten Sportart angepasst.“
Welche Komplikationen können bei einer KB-Operation eintreten
Dr. Frenzel: „Gefürchtet sind Infektionen, Arthofibrose, Morbus Sudeck (anhaltende, lokale Schmerzen. Das zieht in der Regel eine Revisisons-OP nach sich. Jede Operation birgt ein gewisses Risiko. Daher sollten auch mögliche Komplikationen, wie Probleme an der Entnahmestelle des Transplantats, Transplantatversagen und andere im Vorfeld besprochen und bewertet werden.“
Wie lange dauert die Ausheilphase
Dr. Frenzel: „Das körpereigene Transplantat unterliegt im Laufe der Einheilung verschiedenen ‚Umbauphasen‘, daher sollte das Kniegelenk in den ersten 1-2 Wochen mit einem Streckdefizit von 10-20° entlastet bzw. teilbelastet werden. Mit Hilfe von Kniegelenkorthesen wird das Gelenk passiv stabilisiert, bei vollem Auftritt und in Streckung/ Beugung bis 60° bis zur 4.Woche. Anschließend werden Streckung und Beugung symptomangepasst gesteigert auf 90° bis zur freien Beweglichkeit. Physiotherapie und eine Motorbewegungsschiene begleiten diesen Therapieablauf. Unterarm-Stützen können abgelegt werden, wenn die Oberschenkelmuskulatur das Kniegelenk aktiv führen kann.
Eine Bürotätigkeit ist somit ab der 3. oder 4. Woche möglich. Leichte sportliche Aktivitäten wie Radfahren können ab der 9. Woche aufgenommen werden, Walken und Joggen ab der 12. Woche. Wettkampfsport empfehle ich erst nach einer Ausheilphase von 9 Monaten und wenn zuvor festgelegte Testkriterien erfüllt sind. Ich rate meinen Patienten, die Ausheilung mit Respekt zu begleiten. Ungeduld führt nicht etwa zu einer früheren Einsatzfähigkeit, sondern behindert und bremst den individuellen Heilungsverlauf.“
Sind nach einer Operation wieder alle Bewegungen möglich?
Dr. Frenzel: „Die vollständige Streckung des Kniegelenks ist das entscheidende Kriterium für ein normales Gangbild. Währenddessen sind Beugedefizite von 5° bis 15° unproblematisch. Wenn dauerhafte Beuge- und Streckdefizite auftreten, dann häufig als Folge einer Infektion oder einer Arthofibrose, einer entzündungsbedingten, krankhaften Vermehrung von Bindegewebe.“
Was sind mögliche Spätfolgen eines Kreuzbandrisses?
Dr. Frenzel: „Eine Spätfolge ist in jedem Fall die Kniegelenkarthrose in Abhängigkeit vom Aktivitätsgrad. Der Gelenkverschleiß führt bei den meisten Betroffenen zu einer erheblichen Reduzierung ihrer Lebensqualität. Deshalb sollte ein angepasstes Aktivitätsmodul mit dem behandelnden Arzt besprochen werden. Ein Kreuzbandriss ist durch die gestörte Gelenkkinematik mit und ohne Operation ein physiologischer Marathon mit Folge-und Spätschäden. Begegnen sie ihrem traumatisierten Kniegelenk in jedem Fall mit Demut. Stellen sie persönlich alle Fragen bei ihrem Kniespezialisten. Alles was Sie dazu wissen sollten, überrascht sie nicht und gibt Sicherheit. Deshalb ist Prävention von Kreuzbandverletzungen in den jeweiligen Sportarten, aber auch nach einer Operation ein unbedingter Therapieansatz. Weitere Informationen zu diesem Thema gibt es bei der Deutschen Kniegesellschaft bei Stop X.“
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