Wenn Rückenschmerzen nicht vergehen
Chefarzt mit APL Professur Universität Duisburg-Essen und Lehrauftrag Uni Köln
Endoprothetik
Zum ProfilChronische Rückenschmerzen
Schmerzen im Kreuz oder Rücken, die länger als 6 Wochen andauern oder regelmäßig wiederkehren, werden als „chronisch“ bezeichnet. Bei der Diagnose und Behandlung sind Fingerspitzengefühl gefragt, erklärt Prof. Dr. med. Guido Saxler, Spezialist für Endoprothetik, Knie-, Schulter- und Wirbelsäulenchirurgie sowie Chefarzt der Orthopädie und Unfallchirurgie des Rheinland Klinikums Dormagen.
Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Bei 85 Prozent der Rückenschmerzen ist keine klare Ursache erkennbar – woher kommen diese Schmerzen dann?
Prof. Saxler: „In vielen Fällen handelt es sich um eine Kombination verschiedener Problemfelder. Manchmal erschienen einzelne Auslöser unwichtig, aber in Kombination mit anderen Faktoren ergeben sich daraus die typischen Beschwerden. Am Anfang von chronischen Rückenschmerzen stehen häufig Muskelverspannungen, die durch Stress oder Überlastung wenig trainierter Muskelgruppen entstehen. Diese führen irgendwann zu einer Überlastung der Wirbelgelenke. Der dadurch entstehende, unangenehme Schmerz prägt sich ein und wird von unserem Gehirn gespeichert. Das sogenannte ‚Schmerzgedächtnis’ führt später dazu, dass selbst geringe Reize einen starken Schmerz auslösen. Und schon ist der Teufelskreis perfekt.“
Welche Diagnoseschritte sind erforderlich?
Prof. Saxler: „Besonders wichtig ist die Anamnese, ein ausführliches Gespräch mit der Patientin oder dem Patienten über ihre Beschwerden, mögliche Auslöser und Lebensumstände. Anschließend folgt eine körperliche Untersuchung. Dabei soll eruiert werden, ob die Schmerzen von Muskeln, Gelenken oder Wirbeln ausgehen. Auch die Reflexe werden getestet um festzustellen, ob neurologische Ausfälle auftreten, also motorische Lähmungen oder sensorische Störungen.“
Welche Rolle spielen psychische Faktoren bei chronischen Rückenschmerzen?
Prof. Saxler: „Gerade Rücken- und Nackenschmerzen sind häufig psychisch getriggert. Daher ist bei chronischen Rückenschmerzen häufig eine fachübergreifende Diagnostik erforderlich, die auch Psychologen oder Psychotherapeuten einbezieht. Stress und berufliche oder private Probleme können körperliche Beschwerden auslösen. Hier nützt es nichts, nur die Symptome zu behandeln.“
Podcast Wirbelsäulenproblem Rückenschmerzen
Wie können chronische Rückenschmerzen behandelt werden, wenn die Ursache unklar ist?
Prof. Saxler: „In einem ersten Schritt versuchen wir natürlich, den Patienten Schmerzerleichterung zu verschaffen. Dies kann durch Medikamente oder Injektionen erfolgen. In einem zweiten Schritt muss die betroffene Region des Rückens stabilisiert und gestärkt werden, um folgenden Belastungen Stand zu halten. Dies gelingt in der Regel durch Training, Physiotherapie und Krankengymnastik.“
Was ist eine multimodale Schmerztherapie?
Prof. Saxler: „So vielfältig die Ursachen für chronischen Rückenschmerz sein können, so vielseitig sollte auch die Therapie darauf reagieren. Daher umfasst eine multimodale Schmerztherapie mindestens zwei verschiedene Behandlungsansätze. Diese können beispielsweise eine medikamentöse Schmerztherapie plus Massagen und Physiotherapie zum Muskelaufbau sowie unterstützende Psychotherapie und Entspannungsübungen beinhalten. Ruhe ist dagegen wenig hilfreich und führt auf Dauer zu mehr Schmerzen und Problemen. Sowohl bei akuten als auch bei chronischen Rückenschmerzen sollten die Patienten dringend in Bewegung bleiben. Der Rücken muss belastet werden, um gesund zu funktionieren.“
Wird eine multimodale Schmerztherapie stationär oder ambulant ausgeführt?
Prof. Saxler: „Sie wird in der Regel ambulant angewendet. Nur falls das nicht ausreicht, wird die multimodale Schmerztherapie auch stationär ausgeführt.“
Bewegung trotz Schmerzen ist nicht einfach – wie motivieren Sie die Patienten?
Prof. Saxler: „Mangelnde Bewegung und ein schlechter Trainingszustand sind in vielen Fällen die Auslöser für chronische Rückenschmerzen. Der Körperbau des Menschen war durch die Evolution dazu ausgerichtet, für die Nahrungssuche täglich 10 bis 15 Kilometer zu gehen. Diese Strecke schafft heutzutage kaum jemand. Die meisten Menschen sitzen viel zu viel. Hinzu kommt, dass gerade im Urlaub dann untrainiert Höchstleistungen wie etwa beim Wassersport, Skifahren oder Wandern abgefragt werden. Wir versuchen daher, die Muskulatur zu stärken, um ein gesundes Zusammenspiel von Gelenken und Muskulatur zu ermöglichen, das auch besonderen Belastungen standhält. Dazu ist Überzeugungsarbeit aber auch eine gewisse Schmerzfreiheit erforderlich. Die Patienten müssen am eigenen Leib erfahren, dass es ihnen besser geht, wenn sie sich mehr bewegen. Das ist die beste Motivation.“
Welche Rolle spielen Medikamente bei der Behandlung von chronischen Rückenschmerzen?
Prof. Saxler: „Wie bereits erklärt können Medikamente und schmerzlindernde Spritzen dazu beitragen, den Patienten zumindest kurzfristig Linderung zu verschaffen. Diese Schmerzfreiheit muss dann genutzt werden, um die Muskulatur zu aktivieren. Später funktioniert das auch mit weniger Medikamenten oder auch ganz ohne. Das bereits erwähnte Schmerzgedächtnis muss dahingehend überschrieben werden, dass Bewegung gut tut und die Beschwerden lindert.“
Wann hilft eine Operation bei chronischen Rückenschmerzen?
Prof. Saxler: „Wenn klare Indikationen vorliegen, also beispielsweise eine verrutsche Bandscheibe oder Knochenteile der Facettengelenke auf Nerven drücken, kann eine Operation natürlich Abhilfe schaffen. Das gleiche gilt bei Instabilitäten der Wirbelsäule. Hier kann eine Versteifung der Wirbelkörper (Spondylodese) die Beschwerden lindern. Die meisten Eingriffe können heutzutage minimal-mikroskopisch oder auch endoskopisch ausgeführt werden, so dass keine langen Narben entstehen und die Patienten rasch wieder auf die Beine kommen. Denn auch nach einer Operation muss das Muskeltraining fortgesetzt werden, um die Stabilität und Beweglichkeit zu erhalten.“
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